Der Rauhe Kapf

Eine Siedlung feiert ihr fünfzigjähriges Jubiläum

In diesem "EinBlick in die Stadtgeschichte" beschäftigt sich Stadtarchiv Dr. Christoph Florian mit Böblingens kleinstem Stadtteil, der architektonisch bedeutenden und mittlerweile zu einem Kulturdenkmal erhobenen Siedlung Rauher Kapf. Gründe für die Besiedelung vor 50 Jahren waren die Wohnungsnot, Baulandmangel und das IBM Forschungslabor.

Die Siedlung Rauher Kapf ist auf einer „grünen Wiese“, besser gesagt in einem „grünen Wald“ entstanden. Das Gebiet war bis zum Bau des Stadtteils vor nunmehr 50 Jahren wohl immer unbesiedelt gewesen. Es sind keine archäologischen Siedlungsfunde bekannt. Erst für die Zeit um 1830 ist der Gebiets- oder Flurname "Rauher Kapf" schriftlich nachweisbar. Frühere Belege konnten bisher nicht ermittelt werden. Um trotzdem etwas aus der Vergangenheit zu erfahren, muss man sich mit der Etymologie des Namens beschäftigen, also der Bedeutungsgeschichte der Geländebezeichnung "Rauher Kapf" nachgehen.

Ein Aussichtsberg

Der Name klingt nicht alltäglich, ja sogar ein wenig fremd, seine Bedeutung ist aber einleuchtend. Er kommt nämlich vom mittelhochdeutschen „kapfen, das heißt schauen, besonders verwundert schauen oder gaffen. Auch was den Namensbestandteil „Rauher“ betrifft, lohnt sich ein Blick in die Fachliteratur: Dort heißt es „rauh [...], für unebenen und steinigen, unfruchtbaren und dichtbewachsenen Untergrund […]“. Der Namen "Rauher Kapf" bezeichnet also einen Aussichtsberg mit einem ungünstigen oder unfruchtbaren Boden.

Der Namen muss zu einer Zeit entstanden sein, als der Berg gerodet war und vielleicht als Schafweide diente. Durch das Fehlen der Bäume hatte man eine fantastische Sicht. Der Blick auf die württembergische Forstkarte von Andreas Kieser aus dem Ende des 17. Jahrhunderts zeigt, wie der Rauhe Kapf damals genutzt wurde. Es war – wohl wieder – ein Waldgebiet.

Ein verträumtes Waldstück

Man bekommt den Eindruck eines verträumten Waldstücks, das in beschaulicher Ruhe auf die Erfüllung seines Schicksals in der Mitte des 20. Jahrhunderts harrte. Der Umstand, dass der Böblinger und auch der Schönaicher Verschönerungsverein 1911 an der Gemarkungsgrenze auf dem Rauhen Kapf eine Aussichtsplattform anlegte, verstärkt diesen Eindruck.

Doch diese Vorstellung einer idyllischen Ruhe täuscht etwas, denn unmittelbar nördlich des Rauhen Kapfes verlief seit 1922 eine Nebenstrecke der Schönbuchbahn. Ursprünglich sollte dieses Bahn bis Waldenbuch führen, schließlich blieb vom Projekt nur noch eine kleine Stichbahn übrig. Die Verbindung erstreckte sich vom Bahnhof Schönaicher First (jetzt Zimmerschlag) bis Schönaich und war ganze drei Kilometer und 30 Meter lang.

Die Geschichte dieser Nebenstrecke war allerdings nur von kurzer Dauer. Nicht zuletzt die große Konkurrenz durch den Busverkehr führte dazu, dass schon 1954 der Personenverkehr eingestellt wurde. Der Güterverkehr folgte dann 1959. Der Gleise wurden größtenteils herausgerissen.

Die Geschichte dieser Nebenstrecke war allerdings nur von kurzer Dauer. Nicht zuletzt die große Konkurrenz durch den Busverkehr führte dazu, dass schon 1954 der Personenverkehr eingestellt wurde. Der Güterverkehr folgte dann 1959. Der Gleise wurden größtenteils herausgerissen.

Für die nun folgende Entstehung der unmittelbar benachbarten Siedlung Rauher Kapf gab es zwei Gründe. Zum einen gab es einen großen Wohnungsmangel. Zwischen 1945 und 1965 war nämlich die Bevölkerungszahl Böblingens explosionsartig gestiegen. Hatte die Stadt am 1. Januar 1951 noch 12.730 Bewohner so waren dies am 1. September 1961 insgesamt 25.960.

Zugleich hatte die Gemeinde kein Bauland mehr. In dem Gemeinderatsbeschluss am 14. Februar 1962 zum Bau der Siedlung Rauher Kapf führte Oberbürgermeister Wolfgang Brumme aus, dass es „einem Großteil der Bevölkerung […] heute nicht mehr möglich“ sei „einen Bauplatz zu einem annehmbaren Preis zu erwerben.“ Aufgrund des Baulandmangels war die Stadt – so Brumme – gezwungen auf den Wald zurückzugreifen. Gemildert werden sollte dieser Eingriff durch die aufgelockerte und weiträumige Bebauung. Dies sollte den Charakter des Waldgebiets erhalten.

Das IBM-Forschungslabor

Neben diesem offiziell diskutierten Grund gab es einen weiteren, der bei den Erwägungen eine Rolle spielte. Die Mitarbeiter der IBM im neuen Forschungslabor benötigten in der Nähe gelegene Wohnungen. Dies dürfte für die Platzwahl der Siedlung maßgeblich gewesen sein.

Der in weiten Teilen realisierte Bebauungsplan sah 328 Wohnungen vor, 63 davon in Einfamilienhäusern. Man ging dabei von 3,6 Personen pro Wohneinheiten aus, was dann insgesamt 1.180 bis 1.200 Menschen in der zukünftigen Siedlung ergab.

Um ein Haar wäre der Rauhe Kapf allerdings nicht der Rauhe Kapf geworden. Denn auf einer Sitzung des Technischen Ausschusses des Gemeinderats im Juli 1962 hielt Stadtkämmerer Raich es für erforderlich, der Waldsiedlung am Rauhen Kapf einen Namen zu geben. Er schlug „Waldsiedlung – Albblick“ vor. Der Ausschuss fasste jedoch keinen Beschluss. Offenbar fand dieser Vorschlag keine Gegenliebe und so blieb es beim alten Namen.

Auch bei den Straßenbezeichnungen gab es Diskussionen. Das Planungsamt hatte vorgeschlagen, die Straßen im „Rauhen Kapf“ nach Waldpflanzen, Waldtieren, Pilzen oder deutschen Mittelgebirgen zu benennen. Der zuständige Gemeinderatsausschuss entschied sich dann für Letzteres.

Währenddessen wurde auf dem Rauhen Kapf kräftig Hand angelegt. 1962 begannen die Erschließungsarbeiten. Im folgenden Jahr wurde dann mit den Bauarbeiten begonnen.
Der bekannte Architekt Hans Scharoun bekam den Auftrag, das aus Hochhäusern bestehende Mittelstück der Siedlung zu entwerfen. Scharoun baute zusammen mit dem Stuttgarter Architekten Philipp Plötz diesen Teil der Siedlung, der aus sechs Wohnhäusern mit Eigentumswohnungen, Ladenzentrum und Tiefgarage bestand. Die zuständige Baufirma hieß Universum-Treubau-GmbH.
Die Grundsteinlegung dieses Ensembles fand übrigens am 18. April 1964 statt. Das wird als Gründungsdatum des Rauhen Kapfs betrachtet. Als die Bauten Scharouns fertig waren, gab es im Sommer 1965 ein großes Richtfest mit Ochse und Schwein am Spieß.

Die Trabantenstadt

Konzipiert wurde der Rauhe Kapf als Trabantenstadt. Trabentenstädte sind Vororte einer größeren Stadt, die nicht eigenständig sind, sondern hauptsächlich aus Wohngebieten für Pendler bestehen und wenige Arbeitsplätze beheimaten.
Deshalb erhielt der Rauhe Kapf nur eine schwach entwickelte Infrastruktur, die natürlich auch ein Ergebnis der geringen Siedlungsgröße war. Bis 1990 gab es einen kleinen Supermarkt und auch einen Friseur. 1966 war der Kindergarten fertig gestellt. Eine Volksschule war auch geplant, konnte aber nicht verwirklicht werden.
Am Ende dieses Artikels soll der Biograph Peter Blundell Jones zitiert werden, der über Scharouns Arbeit auf dem Rauhen Kapf schrieb. „[Der] Rauhe Kapf ist die zugleich subtilste und am schwersten zu fotografierende Wohnanlage Scharouns. Ein Meisterwerk der Untertreibung, in vieler Hinsicht recht frei, aber dennoch erstaunlich vornehm.“

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