Skandal im "Nonnenhaus"

Die Geschichte des Spitalgebäudes in Böblingen

In diesem Artikel beschäftigt sich Stadtarchivar Dr. Christoph Florian mit dem einstmals im Bereich des heutigen Gebäudes "Pfarrgasse 28" gelegenen Böblinger Spital und dessen Vergangenheit. Es handelt sich um einen überarbeiteten Vortrag aus dem Jahr 2010.

Das erste Zeugnis zur Vorgeschichte des Spitals stammt aus dem Jahr 1481. Damals bedachte die Stadtherrin Mechthild in ihrem Testament auch die „swöstern zu Böblingen“. Die großzügige Erzherzogin vermachte ihnen einen halben „Fuder wins“ also rund 1.800 Liter Wein.

Wer waren diese Schwestern?

Spitalgebäude im Jahr 1941

Es handelte sich um eine klosterähnliche Frauengemeinschaft. Im Spätmittelalter schlossen sich immer wieder ledige Frauen zu solchen spirituell inspirierten Gemeinschaften zusammen, blieben dabei jedoch Laien. Möglicherweise haben auch die Böblinger Schwestern wie die Mitglieder zahlreicher ähnlicher Gemeinschaften weiblicher Laien in der Armenfürsorge oder Krankenpflege gearbeitet. Solche Schwestern werden heute oft pauschal als Beginen bezeichnet. Doch im Spätmittelalter und in der Frühen Neuzeit gab es für die Angehörigen dieser Laienbewegung durchaus verschiedene Bezeichnungen. Die Amtskirche sah solche für sie schwer kontrollierbaren Zusammenschlüsse nicht gerne.

Durch einen Eintrag in einem Lagerbuch – also einen Besitzverzeichnis – aus dem Jahr 1523 erfährt man weiteres über die Schwestern. Dort ist nämlich von „Swöstern, augustiner ordens“ die Rede. Die Böblinger Schwestern lebten also nach der Regel des Augustinerinnenordens und wurden anscheinend vom Augustinerkloster in Weil der Stadt geistlich betreut bzw. die Einhaltung der Augustinerinnenregeln kontrolliert.

Doch anscheinend war die Kontrolle durch das Kloster in Weil der Stadt nicht sehr effektiv. Denn im Jahr 1526 ereignete sich am Vorabend der Reformation in Württemberg ein Skandal, der in Böblinger sicher großes Aufsehen hervorrief.

Skandal im "Sperrbezirk"

Doch lassen wir den gar nicht so biederen Angeklagten Hanns Byder selbst darüber berichten. „By nechtlicher weil“, so Byder, sei er „inn die Klaußen zú Böblingen gebrochen unnd durch soliche unordenlichen Eingang zu ainer Nunnen gestigen“. Hanns wollte also ein Schäferstündchen mit einer der Schwestern verbringen. Zumindest Hanns Byder kam glimpflich davon. Offenbar sozial gut vernetzt wurde er aus dem Gefängnis entlassen und musste lediglich versprechen, sich nicht an seinen Prozessgegnern zu rächen. Der Regelfall waren solche Vorkommnisse jedoch nicht. Man kann solche Schwesternhäuser vielleicht am besten mit heutigen Diakonissenhäusern vergleichen.

Zumindest in einer Sage hatten die Schwestern der Obrigkeit schon im Jahr zuvor Probleme bereitet. Denn laut der Legende soll sich einer der Bauernanführer nach der verlorenen Schlacht von Böblingen 1525 im Schwesternhaus versteckt und dadurch sein Leben gerettet haben.

Spitalgebäude und Umgebung 1927

Als nach der Rückkehr des vertriebenen Herzog Ulrich in Württemberg 1534 die Reformation eingeführt wurde, neigte sich auch die Zeit der Böblinger Schwestern ihrem Ende zu. Das Jahr 1536 markierte dann wohl das Aus des Böblinger Schwesternhauses. Denn im genannten Jahr verließen – vermutlich unter herrschaftlichem Druck – drei Schwestern gleichzeitig die Gemeinschaft. Am 16. September verzichteten Christiane Stach aus Holzgerlingen, die zugleich Mutter, also Vorsteherin des Schwesternhauses war, Barbara Zyper aus Böblingen und Margarethe Maler aus Weil der Stadt auf ihre Versorgung. Stattdessen ließen sie sich die Vermögensbestandteile, mit denen sie sich in das Schwesternhaus eingekauft hatten, zurückerstatten und nahmen vermutlich ein bürgerliches Leben auf.

Das Haus kam mit der Reformation in den Besitz der Herrschaft Württemberg

Nach dem Ende der Schwesterngemeinschaft stand es leer und verlassen. Deshalb fiel es Herzog Christoph von Württemberg 1554 nicht schwer, das „Nonnenhaus“ an die Stadt Böblingen abzutreten. Bürgermeister, Gericht und Rat der Stadt Böblingen sollten dort ein Seelhaus, also ein Armenhaus einrichten. Hier ist an eine Art Wohnheim für sozial Schwache und Pflegebedürftige zu denken, deren Lebensunterhalt von der Gemeinde bestritten wurde. Die Gesunden darunter sollten allerdings ihren Unterhalt im Armenhaus selbst erarbeiten. Ein Jahr später baten die Böblinger um die Überlassung der Inneneinrichtung, was ihnen der Herzog gewährte, da sie „gering schetzig ding“ sei.

Vor 1554 hatte die kleine Stadt ihre Armen in deren Wohnungen und Häusern versorgt, also eine Art mobile Pflege betrieben. Aufgrund der geringen Bevölkerungsanzahl - Böblingen zählte um 1600 etwa 900 Einwohner - hatte sich der Aufwand eines eigenen Armenhauses lange nicht gelohnt. Man kann sich gut vorstellen, dass auch die Böblinger Schwestern an diesem mobilen Pflegedienst beteiligt waren.

Nach 1554 taucht für das Haus auch die Bezeichnung Spital auf. Dieser Name ging dann später auf den ganzen Häuserkomplex an der heutigen Pfarrgasse über. Im Lagerbuch von 1587 z. B. findet sich die Bezeichnung „der Spittal“.

Dort lesen wir weiter, dass das Spital an einige Bürger vermietet war und die Armen stattdessen in einem Haus in der oberen Vorstadt lebten. Dies war praktischerweise in der Nähe des alten Friedhofs an der Schafgasse. Grund für die Ausquartierung können gesundheitliche Erwägungen gewesen sein. Die hygienischen Verhältnisse in der ummauerten Stadt waren nicht gut und immer wieder drohten Seuchen, wie z.B. im Jahr 1635 als mitten im Dreißigjährigen Krieg die Pest in Böblingen wütete.

Es gibt keine Hinweise, dass das Armenhaus später wieder in das Spitalsgebäude kam

Auf jeden Fall erklärten im Jahr 1676 Vogt und Dekan von Böblingen, als elternlose Kinder in der Stadt untergebracht werden sollten, dass es hier gar kein Spital gebe. Im 18. Jahrhundert wurde ein Arbeitshaus für die Armen eingerichtet, um dort Hanf- und Flachsfasern zu verarbeiten. Doch kamen zu häufig sowohl Geräte als auch Waren abhanden. 1790 wurde der Versuch daher abgebrochen.

Vielleicht im Zusammenhang mit der Verlegung des Friedhofs von der Schafsgasse hinaus an den Herdweg 1836 wurde dort auch ein Armenhaus erbaut. Seit Mitte des 19. Jahrhunderts ist es jedenfalls nachweisbar. Dort sollte das Armenhaus über das 1897 erbaute Bezirkskrankenhaus am Maienplatz zum mittelbaren Vorläufer des heutigen Kreiskrankenhauses werden.

Weil nichts über den Alltag des Böblinger Armenhaus bekannt ist, sei hier die Überlieferung des Tübinger Armenhauses bzw. Spitals herangezogen. Dort lebten neben wenigen Wohlhabenden, welche sich zur Alterversorgung dort eingekauft hatten, vor allem Angehörige der Unterschicht in übelsten unhygienischen Verhältnissen. Noch 1804 würden die Bewohner dort „in Unrath und Unziefer erstikken“. Eine Frau z.B. beschwerte sich, dass sie sich mit einer an Krätze erkrankten – also an einer üblen Hautkrankheit leidenden - Person das Bett teilen müsse. Ein Barbier besuchte regelmäßig das Tübinger Spital und ließ Leute zur Ader, renkte ausgekugelte Armgelenke ein oder rieb verstauchte Füße mit „Gliederbalsam“ ein. Dem Seelvater, dem Vorstand des Armenhauses, welcher die Treppe hinuntergestürzt war, verabreichte der Barbier „Glieder-Geist“ und einer Frau, welche an einem nicht genannten Leiden litt, „Regenwurm-Geist“.

Das alte Böblinger "Spital" selbst wurde weiterhin privat vermietet. In der Bombennacht vom 7. auf den 8. Oktober 1943 kam dann das endgültige Aus. Wie so viele Häuser in der Altstadt fiel es den Bomben zum Opfer. Ein Wandgemälde am modernen Nachfolgegebäude erinnert an das alte Böblingen.

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