Sömmerda und Böblingen – Geschichte einer außergewöhnlichen Partnerschaft

Das 30-jährige Jubiläum der Städtepartnerschaft zwischen Sömmerda und Böblingen bietet Anlass zum Rückblick. Die Partnerschaft mit der thüringischen Stadt, damals noch in der Deutschen Demokratischen Republik, war eine der ersten dieser Art.

Wie war das vor 30 Jahren?

Vertragsunterzeichnung 1988, Bürgermeister Manfred Hölzer aus Sömmerda und Oberbürgermeister Alexander Vogelgsang aus Böblingen

„Beide Städte werden im Rahmen ihrer kommunalen Möglichkeiten und Zuständigkeiten alles tun, um das Streben der Menschen nach Sicherheit, Abrüstung und Entspannung, Freundschaft und konstruktive Zusammenarbeit zu unterstützen, um damit die Politik der friedlichen Zusammenarbeit zwischen Staaten unterschiedlicher Gesellschaftsordnung zu vertiefen.“ (Aus der Präambel der Vereinbarung des Jahres 1988). Diese Worte sind inzwischen drei Jahrzehnte alt und sind unter grundlegend anderen Umständen zu Stande gekommen als sie heute bestehen – und dennoch haben sie nichts von ihrer Aktualität eingebüßt. Vor 30 Jahren war Deutschland geteilt in zwei sehr unterschiedliche Staaten und mit Sömmerda und Böblingen machte sich auf jeder Seite der trennenden Grenze eine Stadt auf den hoffnungsvollen Weg. Schon als kurze Zeit später die Grenze fiel und Deutschland für viele unerwartet schnell wieder vereinigt werden konnte, änderte sich dieser Weg, der gegenseitige Umgang grundlegend. Sömmerda und Böblingen sind diesen Weg seither zusammen und in Freundschaft gegangen und es haben viele Menschen die jeweils andere Partnerstadt besucht und die Stadt sowie ihre Menschen kennengelernt.

Auch heute noch sehnen sich die Menschen in Sömmerda, in Böblingen und überall auf der Welt nach diesen in der Präambel festgehaltenen Werten. Waren Städtepartnerschaften in früheren Zeiten für viele Menschen eine willkommene Gelegenheit, zu einem vertretbaren Preis und einigermaßen behütet in fremde Länder zu reisen und dort fremde Kulturen kennenzulernen, hat dieser Aspekt der Städtepartnerschaften in der heutigen globalen Gesellschaft an Bedeutung verloren. Nichtsdestotrotz ist es heute weiterhin wichtig, dass sich Menschen aus verschiedenen Kulturen persönlich begegnen und anders als bei einer Urlaubsreise am Alltag der jeweils anderen teilhaben oder gar gemeinsam ein Projekt auf die Beine stellen. Nur durch diese „privaten Einsichten“ entsteht Verständnis und Toleranz für das Denken und Handeln der anderen. Auch die globalisierte Welt, in der Menschen unter anderem durch moderne Medien vermeintlich näher zusammengerückt sind, bewahrt uns nicht vor nationalistischen und populistischen Tendenzen. Deshalb ist Völkerverständigung weiterhin ein wichtiges Ziel – und Städtepartnerschaften auch heute noch ein wichtiges Instrument dazu, ausgehend von der persönlichsten Ebene von Mensch zu Mensch.

Was ist seither passiert?

Die Partnerschaft zwischen Sömmerda und Böblingen war unter den ersten, die zwischen zwei deutschen Städten noch im geteilten Deutschland eingegangen wurde. Entsprechend aufwändig war die erste Kontaktaufnahme. Die protokollarischen Vorgaben für die ersten Besuche sowie die Verhandlungen zur Formulierung der Partnerschaftsvereinbarung erwiesen sich als sehr strikt und stark reglementiert. In Böblingen verfolgte man trotzdem mit Nachdruck das Zu-Stande-Kommen der Partnerschaft mit einer Stadt in der damaligen Deutschen Demokratischen Republik und mit Sömmerda schien man einen passenden Partner gefunden zu haben. Gemeinsamkeiten waren in der Größe und der landschaftlichen Umgebung erkennbar, aber auch in der Ausrichtung der Industrie – gab es doch in Sömmerda ein „Robotron“-Werk. Gemeinderat, Stadtverwaltung und auch die Bürgerschaft aus Böblingen hofften, im Zusammenhang mit der Verbesserung der Beziehungen zwischen Ost und West, durch persönliche Kontakte das gesamtdeutsche Zusammengehörigkeitsgefühl insgesamt zu stärken. Der damalige Oberbürgermeister Alexander Vogelgsang war überzeugt, dass die erste Böblinger Verhandlungs-Delegation „zwar nur linientreue Mitglieder der SED und der Partei finden würde, dass aber auch hinter den Linientreuen immer ein Mensch steckt. Somit war man sich auch sicher, dass man so peu a peu auch andere noch treffen würde, andere Bürgerinnen und Bürger" – und das ist dann auch eingetreten.

In den ersten Jahren verlief die Partnerschaft rege, doch auch ein wenig rigide und unter strenger Aufsicht nach dem im Voraus vereinbarten Jahresplan. Gegenseitige Besuche umfassten meistens Mitglieder von Kommunalpolitik und Stadtverwaltung, auf privater Ebene gab es noch wenig Spielraum. Viele Böblinger Bürger waren neugierig auf die Menschen in der Partnerstadt, die ersten Gruppierungen, die sich auf die Reise nach Thüringen machten, waren ein Ensemble der Musik- und Kunstschule Böblingen sowie eine Schülerdelegation des Max-Planck-Gymnasiums, beide reisten noch im Jahr der Partnerschaftsgründung 1988 in die DDR. Mit dem Fall der Mauer und der Wiedervereinigung entwickelte sich die Städtepartnerschaft zwischen Sömmerda und Böblingen dann natürlich weitaus temporeicher und vielfältiger. Besonders in den ersten Jahren nutzten viele Sömmerdaer die neue Reisefreiheit und besuchten die schwäbische Partnerstadt. Böblingen konnte in dieser Phase seiner thüringischen Partnerstadt mehrfach behilflich sein, sei es über finanzielle Unterstützung bei der Sanierung des Schüler-Freizeit-Zentrums oder durch Entsendung fachkundiger Menschen aus der Böblinger Verwaltung, die unter anderem beim Aufbau der Kommunalverwaltung, der Stadtwerke, der Wohnbaugesellschaft in der Partnerstadt mit anpackten. Drei junge Frauen aus Sömmerda absolvierten eine Ausbildung bei der Stadtverwaltung Böblingen.

Inzwischen sind nun auch die Jahrhundert-Ereignisse Mauerfall und Wiedervereinigung beinahe drei Jahrzehnte her und so ist es nicht verwunderlich, dass sich die beiden Partnerstädte heute auf Augenhöhe begegnen. Sömmerda ist zu einer aufstrebenden Stadt geworden, die die Schließung des ehemaligen großen und strukturbestimmenden Betriebes Büromaschinenwerk Sömmerda gut verdaut hat und die – anders als andere Städte in den neuen Bundesländern – nicht mehr „schrumpft“, sondern Einwohner hinzugewinnt und neue Firmen ansiedeln kann. Auch mit der Errichtung des Wohn-Viertels Grüne Mitte und weiteren zur Verfügung stehenden Baugebieten konnten attraktive Anreize zum Bleiben oder zum neu Ansiedeln geschaffen werden. Der Wirtschaftsstandort Sömmerda weist heute eine diversifizierte Struktur auf. Unternehmen der Computertechnik und Softwareentwicklung, Kommunikationstechnik, Elektrotechnik / Elektronik stehen neben denen der Metallbe- und verarbeitung sowie Betrieben der Holz- und Kunststoffindustrie als strukturbestimmende Unternehmen für den Wirtschaftsstandort. Konzentrierte sich die Entwicklung zunächst im Industriepark Sömmerda, kamen inzwischen vier weitere Gewerbegebiete hinzu. Regelmäßige Treffen zur Feier des Einheits-Tages bringen alle zwei Jahre Bürgermeister, Gemeinderäte und Mitglieder der Verwaltung zusammen, sodass die Partnerschaft in beiden Städten in der Kommunalpolitik gut verortet ist und so auf einem stabilen Boden stehen kann. Auf diesem Boden können lebendig gelebte Beziehungen z. B. zwischen Vereinen oder auch Schulen gedeihen – so waren im Laufe der Jahre viele Menschen und Gruppen zu Gast in der jeweils anderen Partnerstadt. Zuletzt haben die Böblinger Feuerwehr und die Kantorei Sömmerda besucht. Künftige Besuche durch weitere Gruppen sind bereits in Planung und der Gegenbesuch der offiziellen Böblinger Delegation zum 30-jährigen Jubiläum wird im Juni 2019 anlässlich des Thüringen-Tages stattfinden. Damit sind auch für eine gedeihliche Zukunft dieser Städtepartnerschaft die Weichen bestens gestellt.

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