Böblingen im Ersten Weltkrieg 1914 bis 1918

Am kommenden Samstag, den 28. Juni 2014 wird es genau hundert Jahre her sein, dass der österreichisch-ungarische Thronfolger Franz Ferdinand durch die Kugeln eines serbischen Attentäters in der bosnischen Stadt Sarajevo getötet wurde. Einen Monat später brach der Erste Weltkrieg aus. In dieser Ausgabe geht Stadtarchivar Dr. Christoph Florian der Frage nach, wie es Böblingen und seinen Bewohnern in diesem Krieg erging.

Nach vier Wochen diplomatischer Auseinandersetzung erklärte das mit Deutschland verbündete Österreich-Ungarn am 28. Juli 1914 dem Königreich Serbien, dem es eine Verwicklung in das Attentat vorwarf, den Krieg. Weil Serbien mit Russland verbündet war und Russland wiederum mit Frankreich, erklärte Deutschland zur Unterstützung Österreich-Ungarns am 1. August 1914 Russland, das zuvor die Generalmobilmachung angeordnet hatte, und am 3. August 1914 Frankreich den Krieg. Um Frankreich erfolgreich von Norden angreifen zu können („Schlieffen-Plan“), fiel Deutschland in das neutrale Belgien ein, was wiederum Großbritannien am 4. August 1914 zur Kriegserklärung an Deutschland bewegte.

Die Selbstisolierung

Deutschland hatte sich unter der Herrschaft Kaiser Wilhelms II. (1888 bis 1918) durch eine ungeschickte Diplomatie und aggressive Rhetorik sowie seine Aufrüstung der Kriegsflotte außenpolitisch isoliert. Jetzt hatte es letztendlich einen Zweifrontenkrieg gegen die drei stärksten Mächte Europas bzw. der Welt begonnen.

Die folgenden Ausführungen stützen sich auf die von Georg Wacker geschriebene und 1927 veröffentlichte Chronik Böblingens im Ersten Weltkrieg. Dieses Werk ist nicht unproblematisch, da es von nationalem Pathos und einer entsprechend einseitigen nationalen Sichtweise geprägt ist, doch verschweigt es nicht die Not und die schwankenden Stimmungslagen in der Bevölkerung.

Zunächst hatte man in Böblingen, das in tiefstem Frieden lebte, wie andernorts auch, die Tragweite des Attentats nicht erkannt. Als dann am Freitag, den 31. Juli 1914 zwischen 17.00 und 18.00 Uhr unter Trommelwirbel der Kriegszustand verkündet und am folgenden Tag die Reservisten einberufen wurden, stürzte dies die Böblingerinnen und Böblinger in ein Wechselbad der Gefühle. Wacker schreibt: „Darum gehen sie [die Böblinger] auf die Straße und stehen in Gruppen beisammen, um voneinander Hilfe und Trost zu suchen. Dazu steigern die folgenden Tage die Bestürzung noch.“ Es gab aber auch eine große Menschenmenge auf dem Marktplatz, die „vaterländische“ Lieder sang.

Im Verlauf des Krieges stellt sich eine große Bedrückung in der Stadt ein. Herrschte zu Beginn durchaus viel nationale Begeisterung und Engagement, so hielt mit der Zeit nur noch das Pflichtgefühl die Menschen aufrecht. Zu viele Verwandte, Bekannte oder Nachbarn wurden im Krieg getötet. Nach Wacker fielen rund zweihundert Böblinger. Bei einer Gesamtbevölkerung von etwa sechstausend Einwohnern war dies ein hoher Anteil. Die Stadt war zwar weit entfernt von der am nächsten gelegenen Front im Elsass, doch konnte man auf der höher gelegenen Waldburg deutlich den „Kanonendonner“ an der Westfront hören.

Der Hunger

Eine große Belastung war der Hunger. Weil viele Männer im Krieg waren, konnte die deutsche Landwirtschaft weniger Nahrungsmittel produzieren. Auch war Deutschland durch die Seeblockade von  Nahrungslieferungen aus Übersee abgeschnitten. Die deutsche Regierung bzw. die Regierungen der Einzelstaaten mussten nun alles versuchen, um die Ernährung zu sichern, sonst waren Unruhen zu befürchten.

Darum wurde auch in Württemberg die Zwangswirtschaft eingeführt. Die Nahrungsmittelpreise wurden amtlich festgesetzt und im März 1915 ließen die Behörden private Getreide- und Mehlvorräte beschlagnahmen, um sie gleichmäßig an die Bevölkerung weiterverteilen zu können. Da jeder die gleiche Menge bekommen sollte, wurden Brot- und Mehlkarten eingeführt, die zum Kauf einer bestimmten Menge dieser Lebensmittel berechtigten. Die Ernährungslage wurde immer schlechter, deshalb dehnte man die die Rationierung auch auf Butter und Fleisch aus. Jede Person erhielt ab April 1916 täglich 160 Gramm Fleisch bei zwei fleischlosen Tagen in der Woche.

Durch die Nahrungsknappheit wurde die Stimmung immer verzweifelter und unruhiger, die Nerven lagen schließlich blank. Als am 15. März 1915 die Brot- und Mehlkarten im Rathaus ausgeteilt wurden, gab es einen riesigen Andrang und „die Unzufriedenheit über diese Einschränkung machte sich in heftigen Reden Luft.“ Am 21. Juni 1916 stürmten die Böblinger Frauen beinahe den Laden des Kaufmanns Knoll, der Eier verkaufte, und ließen sich auch durch die Polizei nicht einschüchtern. Freiwillige versuchten zu helfen, indem sie Sammlungen nicht rationierter Lebensmittel wie Hülsenfrüchte oder Hafermehl durchführten, die dann von der Rathausverwaltung dahin verteilt wurden, wo es Mangel gab.

Der Militärflughafen

Einen Gewinn für Böblingen bedeutete hingegen der ab Sommer 1915 angelegte Militärflughafen, wobei vor allem die Gastwirte mit den Soldaten viele neue Kunden bekamen. Am 19. Januar 1916 besuchte sogar der württembergische König Wilhelm II. den Flughafen und hielt „um 11 Uhr unter Böllerschüssen und Glockengeläute seinen Einzug.“ Im nächsten Jahr wird in der Rubrik "EinBlick in die Stadtgeschichte" mehr zum hundertjährigen Jubiläum des Militärflughafens im Amtsblatt berichtet.

Die öffentliche Verwaltung und die Kirchen versuchten nicht zuletzt wegen der schwierigen Lage durch verschiedene Propagandamaßnahmen die öffentliche Meinung in ihrem Sinne (für den Krieg) zu beeinflussen. So ermahnten die Lehrer des Progymnasiums und der Volksschule ihre Schüler, der neu eingerichteten Jugendwehr beizutreten. Unter der Führung zunächst von Ortsbaumeister Baumann und dann von Eisenbahnsekretär Ehrensperger wurden vormilitärische Übungen in der Turnhalle und im Gelände abgehalten. Wohl in der evangelischen Kirche fanden zweimal in der Woche sogenannte Kriegsbetstunden statt. Wacker schrieb über die Propagandabemühungen Anfang des Jahres 1916: „So vergeht der Winter mit allerlei Veranstaltungen und Feiern, mit Vorträgen zur Erklärung der Lage und zur Aufrichtung des sinkenden Muts, mit Konzerten der Militärkapelle für wohltätige Zwecke.“

Doch alle Bemühungen zur Aufrechterhaltung der öffentlichen Stimmung halfen angesichts des Krieges, der Toten und des Hungers letztendlich nicht. Am frühesten wandten sich die Menschen von der kirchlichen Propaganda ab. Auch militärische Erfolge trugen nur kurzfristig zu Besserung der Stimmung bei. Der allgemeine Wunsch nach Frieden wurde immer größer. Wobei Wacker scharfsinnig erkannte, dass die ärmeren Bevölkerungsschichten ein größeres Friedensbedürfnis als die wohlhabenderen hatten, weil sie stärker unter den Auswirkungen des Krieges litten.

Die Novemberrevolution

Zum Kriegsende hin überschlugen sich dann die Ereignisse. Im November 1918 kam es zum Zusammenbruch des politischen Systems in Deutschland (Novemberrevolution). Am 9. November 1918 verkündete die Reichsregierung den Rücktritt von Kaiser Wilhelm II. Deutschland wurde eine parlamentarische Demokratie. Auch in Württemberg ging die Monarchie mit der Abdankung des letzten gleichnamigen Königs Wilhelm II. am 30. November 1918 unter. Am 11. November 1918 trat der ersehnte Waffenstillstand in Kraft. Es herrschte jetzt zwar wieder Frieden, doch es war ein anderer als in der Zeit vor dem Juni 1914. Die Böblingerinnen und Böblinger mussten sich jetzt in einer schwierigen Zeit neu orientieren.

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