Preise und Löhne im alten Böblingen
In dieser Ausgabe des "EinBlicks in die Stadtgeschichte" beschäftigt sich Stadtarchivar Dr. Christoph Florian mit den Preisen und Löhnen längst vergangener Zeiten.
Die Höhe von Preisen und Löhnen und deren Verhältnis zueinander sagen viel über die Lebensverhältnisse vergangener Zeiten aus. Besonders interessant sind dabei die Preise für die Grundnahrungsmittel sowie die Löhne der ärmeren Schichten, die einen großen Teil der Bevölkerung ausmachten.
Der Böblinger Bote ist eine Quelle, die uns einiges über dieses Thema mitteilen kann. Die dort bis in die 1870er-Jahre erwähnten Preise wurden in der damaligen Währung dem Gulden angegeben. Der württembergische Gulden zählte dabei 60 Kreuzer. Im Jahr 1854 z.B. inserierte der Müller der Staffelmühle, Louis Frick, frische Karpfen für neun Kreuzer das Pfund (468 Gramm). Wollte eine Kundin oder Kunde ein Pfund Kalbsfleisch kaufen, mussten sie bzw. er am 30. August einen Kreuzer mehr als am Vortag bezahlen, denn der Fleischpreis auf dem Markt war von acht auf neun Kreuzer gestiegen. Auch für das Grundnahrungsmittel Brot sind Preise bekannt. So kosteten am 1. September ein sechs Pfund (2,8 Kg) schweres „Kernenbrod“ (Dinkelbrot) 21 und ein gleich schweres Schwarzbrot 19 Kreuzer. Dies erscheint als günstig. Doch das Geld dafür musste von den einfachen Leuten erst hart erarbeitet werden. Denn die Löhne für die vielen Tagelöhner oder Gelegenheitsarbeiter waren nicht sehr hoch. So suchte z. B. die Böblinger Stadtverwaltung im gleichen Jahr durch Inserat „Erdarbeiter“ für den Straßenbau. Ihnen wurde 36 bis 40 Kreuzer Tageslohn angeboten. Der Spitzenverdiener unter den Straßenarbeitern konnte sich also von seinem Lohn gerade mal zwei Schwarzbrote leisten.
Frische Chamillen
Die vom Chemischen Laboratorium Bonz & Sohn in Aussicht gestellte Verdienstalternative war auch recht mühsam. Für ein Pfund frische „Chamille[n]“ (Kamillen), die man u. a. zu (Heil-)Tees verarbeitete, wurden je nach Qualität zweieinhalb bis drei Kreuzer angeboten. Waren die Kamillen getrocknet und staubfrei, gab es sogar zehn bis zwölf Kreuzer.
Rund eineinhalb Jahrzehnte später 1871 hatte sich das Verhältnis zwischen Lohn und Preisen nicht wesentlich geändert. Im gerade gegründeten Deutschen Reich hieß die Währung Mark, jedoch galt für eine Übergangsfrist noch der Gulden. Sechs Pfund Dinkelbrot kosteten so jetzt 28 Kreuzer, während für Schwarzbrot schon 26 Kreuzer zu bezahlen waren. Fast verdoppelt hatte sich der Preis für Kalbsfleisch (18 Kreuzer). Das durchschnittliche Jahreseinkommen eines Arbeiters (in Deutschland) betrug jedoch nur etwa 490 Mark (286,6 Gulden).
Eine damals im Böblinger Boten veröffentlichte Fundsache illustriert das geringe Lohnniveau. Mittels einer vom Stadtschultheißenamt Sindelfingen geschalteten Anzeige, wurde der Besitzer eines im „Maichinger Gäßle“ in Sindelfingen gefundenen „Portemonnaie[s]“ gesucht. Der stolze Inhalt der Geldbörse betrug einen Gulden und 38 Kreuzer. Angesichts der kümmerlichen Löhne verwundert es nicht, dass viele Frauen - wie aus den seit 1876 angefertigten Registern des Standesamts hervorgeht - in einer Fabrik arbeiteten.
Am unteren Ende der Lohnskala
Auch in späteren Zeiten war es in Böblingen mit den Löhnen nicht allzu weit her. Im Jahr 1892 setzte die württembergische Regierung in den einzelnen Oberämtern und Gemeinden die Tageslöhne für Gelegenheitsarbeiter fest. Danach bekam im Oberamt Böblingen ein erwachsener männlicher Arbeiter 1,50 Mark und ein männlicher Jugendlicher 90 Pfennig, eine erwachsene Arbeiterin jedoch erhielt nur 1 Mark (!) und eine jugendliche Arbeiterin 70 Pfennig (!). Böblingen befand sich mit einigen wenigen anderen Ämtern und Gemeinden damit nahezu am untersten Ende der Lohnskala des Königreichs Württemberg, lediglich in Bittelbronn und Mühringen (heute Stadtteile von Horb) wurde weniger verdient. Zum Vergleich: Damals kostete laut einer Haushaltsanleitung für Arbeiterfrauen eine Samstagsmittagmahlzeit für vier Erwachsene 74 Pfennig.
Es sollte lange dauern, bis sich das Lohnniveau verbesserte. Dank der Modernisierung der Landwirtschaft wurden deren Produkte günstiger. Insbesondere in den letzten sechs Jahrzehnten sank so der Anteil der Aufwendungen für Nahrungs- und Genussmittel von 44 Prozent im Jahr 1950 auf 14 Prozent im Jahr 1995.