Ein Spaziergang mit Georg Wacker durch das alte Böblingen – der Böblinger Fremdenführer aus dem Jahr 1913 (Teil 1)

Im aktuellen "EinBlick in die Stadtgeschichte" stöbert Stadtarchivar Dr. Christoph Florian im 1913 erschienen „Fremdenführer durch Böblingen und Umgebung“. Es wird dabei jener Teil des Fremdenführers vorgestellt, der sich mit der Stadt im engeren Sinne befasst.

Mit dem Industriezeitalter begann auch das Zeitalter des modernen Tourismus. Breite Bevölkerungsschichten hatten jetzt mehr Geld zur Verfügung, dank der Eisenbahn konnten jetzt viele Ziele innerhalb kürzester Zeit erreicht werden. Die Urlaubsorte profitierten von den Touristen und Ausflügler, gaben sie doch dort Geld aus. Daher waren viele Orte bestrebt, den Tourismus u. a. durch Werbung zu fördern. Eine Möglichkeit war die Vorstellung des Ortes, seiner Infrastruktur, seiner Geschichte und der Sehenswürdigkeiten durch eine Broschüre. So machte es der Verschönerungs- u. Fremdenverkehrsverein Böblingen und legte 1913 eine handliche Werbeschrift mit ansprechendem Äußeren und interessanten Inhalt auf. Den Text verfertigte der Schulrektor Georg Wacker, die zum Teil farbigen Bildvorlagen lieferte das Fotostudio Warth & Lämmle.

Die Eingangspforte zum Schönbuch

Am Anfang der Broschüre begründet der Verfasser, warum Böblingen sich zu einem Touristenziel entwickelt hatte: „Je mehr Stuttgart anwächst und einen engen Industriegürtel um sich herumzieht, desto mehr gewinnen die Waldstrecken, die ausserhalb dieses Gürtels liegen, an Bedeutung für das Leben des Großstädters. Das nächste, wichtigste und größte der Waldgebiete ist der Schönbuch und dessen wichtigste Eingangspforte ist die Stadt Böblingen.“ Das Zielpublikum waren weniger die Ferntouristen als die Tagestouristen aus der unmittelbaren Region, die dem engen und im Sommer manchmal ungemütlich heißen Stuttgarter Talkessel in die grünen und kühlen Wälder der Region entfliehen wollten.

Gleich zu Beginn informiert der Text über die Anfahrt. Vom Stuttgarter Hauptbahnhof, der damals noch ein Stück weiter in Richtung Innenstadt bei der heutigen Bolzstraße lag, dauerte die Strecke nach Böblingen 50 Minuten mit der Bahn. Mit der S-Bahn schafft man es heute – wenn sie keine Verspätung hat – in der halben Zeit. Die gleiche Zeit (25 Minuten) brauchte damals auch ein Automobil, das über die Landstraße von Stuttgart nach Böblingen fuhr.

Wie ein fiktiver Spaziergänger nähert sich Wacker dem Gegenstand seiner Beschreibung. Der virtuelle Spaziergang beginnt am Böblinger Bahnhof. Die Bahnhofstraße entlang geht es dann in Richtung Altstadt: „Vom Hauptbahnhof wendet man sich durch die Bahnhof-Straße nach Süden der Stadt zu […]“. Er weist auf dort vorhandenen Zeugen von Böblingens wirtschaftlichem Aufschwung hin und nennt einige der „grösseren gewerblichen Etablissements“ wie die Trikotfabrik Maier & Co. (Hautana) oder die Schuhfabrik Wanner.

Der Gipfel des Schloßbergs

Dann hat der virtuelle Ausflügler den Elbenplatz erreicht. Er beschreibt jetzt die topographische Lage, die sich dadurch auszeichnet, dass sich der „älteste Teil der Stadt […] um einen Hügel“ gruppiert und die neueren „Vorstädte nach allen Richtungen sich hinausziehen“. Daher „sind auch die Hauptstraßen der Stadt wie im Kreise gebogen und laufen in sich zusammen." Er erwähnt das auf dem gleichnamigen Platz gelegene Denkmal des Abgeordneten Otto Elben. Dann schreitet er die Markstraße ab, welche den „Ring der Altstadt der Länge nach“ durchschneidet. Dann geht es am „stattliche[n]“ Rathaus und dem Brunnen-Denkmal, das mit dem heiligen Christophorus „geziert ist“, vorbei. Damals gab es dort keinen Brunnentrog, sondern lediglich eine winzige Grünfläche mit der Christophorusfigur. Dann erreicht man den „Gipfel des Hügels“ (bzw. des Schlossbergs). Dort stehen die Stadtkirche sowie zwei Schulgebäude, von denen eines ein Flügel des herzoglichen Schlosses gewesen war. Weiter geht es dann an den "stattlichen Gebäude[n]“ des Oberamts, Amtsgerichts und Dekanatsamts in Richtung Postplatz. Der Postplatz, das „neue Zentrum“ der Stadt, ist für den durstigen und hungrigen Besucher interessant, ist er doch von zwei Großbrauereien (Zahn, Dinkelaker) und dem Gasthof Zur „Post“ umgeben.

Anschließend geht der fiktive Spaziergänger noch ein kleines Stück die Waldburgstraße weiter, es werden der Böblinger Festplatz („Maienplatz“), das Bezirkskrankenhaus, die Pension Waldburg und das Sanatorium erwähnt. Dabei bezeichnet Wacker die Gegend unterhalb der Waldburg als sehr begehrt und schreibt, dass sie „schon jetzt mit einer stattlichen Zahl von Einzelhäusern und Villen geziert“ ist. Dann wendet sich die Blickrichtung in Richtung Süden und der Verfasser erwähnt den dort gelegenen Gasthof Bären, das Schlachthaus und das Elektrizitätswerk (heute Kita Wasserwerk). Es folgt ein Exkurs über die Geschichte der Stadt und schließlich kommt der virtuelle Ausflügler wieder beim Bahnhof an.

In der Folge befasst sich Wacker mit der Infrastruktur der rund 6.000 Einwohner zählenden Oberamtsstadt. Da gibt es ein siebenklassiges Realprogymnasium, das war ein neusprachlich-naturwissenschaftlich ausgerichtetes Gymnasium ohne Abschlussklasse. Dann zählt er weiter auf: Eine Gewerbe- und Frauenarbeitsschule (Berufsschule) sowie eine evangelische und eine katholische Volksschule jeweils mit freiwilligem Unterricht im Französischen für Mädchen [!]. Die schöne Oberamtsstadt verfügte auch über ein reges Vereinsleben. Es gibt ein „Museum“ (Leseverein) mit „reichhaltiger Bibliothek in schöner Literatur“, mehrere Gesang-, Militär-, Turn- u. Radfahrervereine, ein Eislauf- und Schützenverein mit Schießstätte und eine Ortsgruppe des Schwäbischen Albvereins.

Wacker geht natürlich auch auf die Einrichtungen ein, welche die Touristen und Besucher unmittelbar interessierte. Er nennt eine Reihe von Übernachtungsmöglichkeiten wie das Kurhaus „Waldburg“, die „altrenommierten“ Gasthöfe Zur „Post“, den erwähnten „Bären“, „Zimmermann“ und „Schönbuch“. Unser Autor gibt dazu einen Hinweis auf private Unterkünfte, über die man sich auf dem Rathaus informieren konnte. Auch das gesundheitliche Angebot bleibt in diesem Zusammenhang schließlich nicht unerwähnt; es gab das Bezirkskrankenhaus, Ärzte und eine größere Apotheke.

Die Beschreibung der Umgegend wird in einer folgenden Ausgabe des Einblicks in die Stadtgeschichte behandelt werden.

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