Sauberkeit und Hygiene im alten Böblingen:

Die Badestube am Unteren Tor

In der vorliegenden Ausgabe des Einblicks in die Stadtgeschichte befasst sich Stadtarchivar Dr. Christoph Florian mit einem besonderen Kapitel der Böblinger Geschichte, nämlich der Körperpflege und der Rolle der Badestube dabei.

Wenn heute ein Fußgänger eiligen Schrittes an dem kleinen Grünstreifen an der Einmündung der Stadtgrabenstraße in die Wolfgang-Brumme-Allee entlangläuft, wird ein historischer Ort passiert, der einst eine wichtige Rolle im Alltag des alten Böblingen spielte. Hier stand einst die Badestube der kleinen Amtsstadt.

Schlechte Luft in Böblingen

Doch warum gab es überhaupt eine solche Einrichtung? Der Grund lag im Bedürfnis nach einem Ort für die Körperpflege. Dies ist vor dem Hintergrund der schwierigen hygienischen Verhältnisse im Mittelalter und in der Frühen Neuzeit zu sehen. In der kleinen Ackerbürgerstadt Böblingen teilten sich damals Mensch und Vieh den engen Lebensraum.
In den Gassen wuselten Hühner, Gänse, Schweine und Ziegen umher. Das Großvieh wurde zwar in den Sommermonaten auf die Weide getrieben; die Ställe jedoch lagen größtenteils in den Häusern. Die Beseitigung menschlicher und tierischer Ausscheidungen war unzureichend, es gab in der ganzen Stadt Misthaufen und oft hing ein übler Geruch in der Luft. Auch die Pflege der persönlichen Sauberkeit war schwierig. So sind erst im
19. Jahrhundert „Zwehlen“, schmale Tücher, die als Handtücher dienen konnten, in Haushalten einfacher Leute nachweisbar. Davor behalf man sich wohl mit alten Lappen oder Stoffresten. Schließlich gab es damals in den Häusern kein fließendes Wasser - es musste mühsam aus den Brunnen geschöpft und mit Eimern herbeigeschafft werden - oder gar ein Badezimmer.

Diese Zustände hatten oft schlimme Folgen. Immer wieder gab es durch die schlechten hygienischen Zustände mitverursachte Seuchenausbrüche, so 1635 als zahlreiche Menschen in Böblingen an einer unbekannten Seuche starben.

Zugleich gab es ein Bedürfnis nach Körperpflege und persönlicher Sauberkeit. Deshalb kamen in Mitteleuropa seit dem 12. Jahrhundert öffentliche Badestuben auf. Sie dienten der Körperreinigung aber auch der Gesundheitspflege. Denn Badeanwendungen konnten Teil einer medizinischen Anwendung sein, daneben wurden weitere medizinische Maßnahmen angeboten. Zugleich dienten sie nach der mittelalterlichen Meinung der Gesundheitsvorsorge. Denn im Mittelalter galten Schwitzbäder als ein Mittel gegen die Pest.

So bekam auch das mittelalterliche Böblingen seine Badestube. Sie lag außerhalb der Stadtmauer beim Unteren Tor. Zu welchem Zeitpunkt dies geschah, ist nicht mehr nachzuvollziehen. Im Jahr 1437 ist sie auf jeden Fall erstmals nachweisbar. Am „S[ank]t Andreaßen tag, Anno Domini dreysßig und sibene“, also am 30. November 1437, verliehen nämlich die Grafen Ludwig I. und Ulrich V. von Württemberg die Böblinger Badestube an Hans Brügel als ein Erblehen. Brügel wurde damit gewissermaßen zum Mieter der Badestube. Jährlich musste er zu Sankt Martin, also am 11. November, der Herrschaft Württemberg zwei Pfund (bzw. 480) Heller - das waren Silbermünzen - und vier Gänse als (Miet-)zins entrichten. Zusätzlich bekam das Heilige von Böblingen (kommunales Stiftungsvermögen für kirchliche Zwecke), ein Pfund Heller. Schließlich erhielt die Frühmesse (kirchliche Stiftung zur Finanzierung einer Messe) 20 Heller. Der Bader war verpflichtet, die Badestube baulich Instand zu halten („in Ehren, guten und redlichen Baw, [zu] haben und halten“).

"Reiber'" und "Reiberin"

Bei dem Böblinger Bad handelte es sich zweifellos um ein Warmbad, wobei die Gäste in Holzbottichen saßen, vermutlich diente es auch als Schwitzbad. Aus dem 16. Jahrhundert ist eine Badestubenordnung überliefert, die uns einen genaueren Einblick in den dortigen Betrieb gibt. Danach war an zwei Tagen, an Donnerstag und Samstag, jeweils Badetag. Unterstützt wurde der Bader durch einen Reiber und eine Reiberin. Deren Berufsbezeichnung ist wörtlich zu nehmen. Sie hatten die Aufgabe, die Badegäste trockenzureiben.

Die Tarife waren einfach. Das Baden und „den Bart Truckhen zuescheren“ kosteten jeweils einen Pfennig, für das Schröpfen (Therapie durch Unterdruck auf der Haut) wurde jeweils ein Pfennig verlangt. Etwas teurer war der Aderlass oder sich einen „Zahn außzuebrechen“ lassen (jeweils 1 Kreuzer). Der Bader nahm also auch zahnmedizinische Aufgaben wahr. Das Bad war ein öffentlicher Ort für „reich und arm, heimisch und ußleüth“. Kinder hatten freien Zutritt, die Eltern mussten lediglich zu Weihnachten dem Bader einen Laib Brot geben. Und einmal im Jahr, nämlich am Fastnachtsdienstag, war „Freybad“ für alle, dann musste niemand „Badgelt“ zahlen.

Voraussetzung für einen Badebetrieb war die ausreichende Versorgung mit Wasser. Deshalb war in der Ordnung festgesetzt worden, dass der benachbarte Müller an den Badetagen nicht den Wasserzufluss zum Bad drosseln durfte. Zusätzlich wurde es auch von einer Schwefelquelle gespeist. Das Schwefelwasser führte man mittels Teichelrohre (Holzrohre) dem Bad zu. Ebenso unerlässlich war eine ausreichende Versorgung mit Holz zur Erhitzung des Wassers. Deshalb war für den Bader mit dem Besitz der Badestube das Recht verknüpft, im lichten Wald so viel liegendes Holz einzusammeln und zuzurichten, wie er benötigte.

Der freie Zutritt für Kinder, das "Freybad", das allgemeine Recht auf Zutritt und das Holzprivileg zeigen deutlich, dass das Bad für die Herrschaft nicht als eine bloße Einnahmequelle betrachtet wurde, sondern als Mittel einer öffentlichen Gesundheitspolitik aktiv gefördert wurde. Die angebotenen Badetage deuten auf einen Zusammenhang von körperlicher und spiritueller Reinigung hin, denn sie gingen jeweils den in christlicher Hinsicht bedeutendsten Wochentagen unmittelbar voraus (Freitag, Sonntag).

Der Herzog mit den ungewaschenen Haaren

Doch sollte die Zeit der Badestuben zu Ende gehen. Ab dem 15. Jahrhundert galten sie mehr und mehr als Brutstätte von Seuchen. Wasser wurde als unhygienisch angesehen und allenfalls Teilwaschungen angewendet (z. B. Hände), stattdessen versuchte man den Körper trocken abzureiben, zu pudern oder Gerüche mit Parfüm zu übertünchen. Dazu gibt es einen vielsagenden Tagebucheintrag Herzog Johanns von Württemberg, der im beginnenden 17. Jahrhundert schrieb: „Heute – den 24. Jänner - hab ich mir den Kopf waschen lassen, so in drei Jahren nicht geschehen, ist mir gar wohl bekommen.“ Dem mittelalterlichen Böblinger Badebesucher wäre so etwas niemals passiert.

Wie lange in Böblingen die Badestube noch bestand, ist nicht überliefert. Auf jeden Fall gab es noch im Jahr 1664 einen Bader Namens Elias Graff. Die Oberamtsbeschreibung konnte dann für 1850 lediglich berichten, dass ein Gebäude "das Bad" genannt wurde. Ebenfalls im Gedächtnis war eine "anstelle des Bades errichtete oder mit ihm verbunden gewesene" Wirtschaft. In den 1870er-Jahren erinnerten sich noch ältere Leute an den sogenannten "Badwirths Carle". Spätestens mit der vollständigen Umgestaltung des Areals durch die Anlage der Stadtgrabenstraße und des Elbenplatzes um 1900 verschwanden die letzten möglicherweise vorhandenen baulichen Zeugnisse und die Badestube wurde endgültig zur Geschichte.

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